Feel Festival – Der wildeste Tanz des Jahres

No Sleep 'Til Monday: Auf nicht weniger als 30 extrem liebevoll gestalteten Floors und Bühnen bietet das Feel Festival am Bergheider See vier Tage lang eine 24-Stunden-Vollbedienung mit Musik, Workshops und vielem mehr. Das einzige, was hier definitiv viel zu kurz kommt, ist Schlaf.

Lange galt das Feel Festival unter Open Air-Besuchern aufgrund der musikalischen Ausrichtung als "die kleine Fusion", sicher auch dank des seltenen Vorzugs, dass fast alle Bühnen und Floors fest installiert sind und daher über eine extrem liebevolle Gestaltung verfügen, die man so auf wenig anderen Festivals findet. Mittlerweile hat sich das Feel aber locker emanzipiert, schon dadurch, dass das musikalische Angebot anders aufgestellt ist als bei der Fusion. Jenes teilt sich beim Feel in zwei Hauptkategorien: Es gibt die Livekonzerte auf einer großen Bühne direkt unterhalb eines monströsen ehemaligen Tagebau-Baggers, wo man einen schönen Querschnitt durch die aktuelle Indie-Szene erleben kann; es spielen Bands wie Gurr, Giant Rooks, Bilderbuch, Kid Simius, Die Nerven, Die Höchste Eisenbahn oder Milliarden, auch der Berliner Kneipenchor darf nicht fehlen. All diese Konzerte werden vom Publikum hervorragend angenommen – und bieten letztlich doch nur das Rahmenprogramm für die eigentliche Qualität des Feel Festivals: die gesamte Welt der elektronischen Musik abzubilden, bis hinein in die tiefsten Nischen und brutalst härtesten Auswüchse.

Selbst als HipHop-, Drum'n'Bass-, Downbeat- oder Techno-Fachmann kann man hier auf den vielen Floors Sounds vernehmen, die man so noch nie gehört hat – und die in ihrer harschen Ästhetik zum Teil fast verstörend wirken. Aber das ist eben der Ansatz: Jedem Tierchen sein Pläsierchen zu bieten, ungeachtet der Frage, wie kommerziell oder konsumerabel etwas ist. Daneben gibt es ein Kino, zahlreiche Workshops und – bei den sommerlichen Temperaturen nicht zu verachten – eben den Bergheider See, der jederzeit zu einem erfrischenden Bad einlädt. Dabei ist schon allein ein Spaziergang über das Gelände ein einziger Flash, insbesondere in der Nacht: Tausende Scheinwerfer illuminieren bald jeden Baum und Strauch auf dem Gelände, Dutzende aufwendige Kunst-Licht-Installationen halten den Blick im Bann. Hinzu kommen unzählig viele selbst gebaute Nischen, Bänke, Hollywood-Schaukeln und große Liegen, zum Teil tief versteckt im wirklich magisch beleuchteten "Zauberwald", wo man auch mal einen Moment Pause machen kann. Doch wenn man erst mal "seinen" Floor mit der passenden Musik gefunden hat - die sich im Schwerpunkt schon an den aktuellen House- und Techno-Sounds orientiert – gibt es kein Halten mehr. Dann wird getanzt, solange die Füße einen tragen. Ob dies nun auf einem der großen Floors vonstatten geht, die teilweise vielen Tausend Ravern Platz bieten, oder ob dies in winzigen Ecken geschieht, wie etwa dem so genannten "Stroboklo", wo tatsächlich vier Tage nonstop harter Techno in einem vielleicht zwölf Quadratmeter kleinen Areal gespielt wird, das bleibt dem Besucher überlassen.

Feel Festival


Einhergehend mit dem durchaus klugen Schachzug, das gesamte Line-up des Festivals erst zum Start am Donnerstag Abend bekannt zu geben, entwickelt sich ein Feel-Besuch automatisch zu einem kaum noch bewusst gesteuerten Strom der Ereignisse. Das ist denn auch das wirklich Schöne daran: Man richtet sch nicht mehr nach einem Spielplan, hetzt von Act zu Act, sondern verweilt einfach stets dort, wo es einem gefällt – ob man den Namen des gerade auflegenden DJs nun kennt oder nicht. Auf diese Weise macht man eine Menge neuer Entdeckungen, anstatt sich beispielsweise zum wiederholten Mal einen der Stars wie Pan-Pot, Marcel Fengler, Robag Wruhme, Reinier Zonneveld, Matthias Kaden oder Bebetta anzuhören. Der Autor dieses Textes hat jedenfalls an diesem langen Wochenende gleich eine ganze Reihe an neuen Lieblings-DJs entdeckt. Wie außergewöhnlich intensiv das Feel Festival ist, kann letztlich durch eine einzige Zahl beschrieben werden. Diese Zahl heißt 65,4 und beziffert die laut Schritte-App "gelaufenen" Kilometer zwischen Donnerstag und Montag. Wenn man dabei bedenkt, dass das Zelt keine 100 Meter vom Festival-Eingang entfernt stand und dass das Feel generell ein Festival der sehr kurzen Wege ist - ein Großteil der Floors befindet sich in einem Areal von wenigen hundert Metern -, kann man sich leicht ausrechnen, wie viele dieser Kilometer auf das Tanzen entfallen (vermutlich knapp 60). Ein größeres Kompliment kann man einem Festival wohl kaum machen.

Video: Feel Festival 2019

Text: Sascha Krüger

Festivals