Drangsal

Exit Strategy

Drangsal alias Max Gruber hat sich nicht nur in der Indie-Musikszene dafür einen Namen gemacht, mit seiner Musik eigenwillig über Genregrenzen hinauszugehen. Der Multiinstrumentalist ist mit seinen bisherigen Alben sogar in den deutschen Charts gelandet. Irgendwas macht er also, das viele Leute abholt. Trotzdem stellt er sich auf seinem neuen Album "Exit Strategy" die grundlegende Frage: Wie kann er sich mit seiner Musik wirklich verständlich machen?

"Wie soll ich singen, was ein jeder versteht, wenn es mir nicht wie allen anderen geht?", fragt sich Drangsal im Song "Exit Strategy". Und damit drückt er auch das aus, was ihn im Entstehungsprozess seines neuen Albums mit demselben Titel besonders umtrieb: der Versuch Songs zu schreiben, die so verständlich sind wie möglich. "Ich habe oft Probleme damit, das, was ich fühle, so in Worte zu fassen, dass es 'relatable' ist", beschreibt er. Und auch musikalisch habe er nach seinem new-wavigen Debüt "Harieschaim" (2016) und dem post-punkigeren "Zores" (2018) Lust darauf bekommen, weniger komplizierte und weniger dunkle Musik zu machen. Er wolle die Songstrukturen möglichst simpel herunterbrechen, frei nach dem Motto: "Wie blöd kriege ich's?"

Das klingt in der Praxis wie auf der Leadsingle "Urlaub von mir", in der Synthies und Gitarren besonders unmittelbar eingängig und deswegen viel poppiger als in seiner bisher veröffentlichten Musik zusammenwirken. Grundsätzlich ist das in Drangsal-Songs nichts Neues, aber die ein oder andere Melodie, die er sonst mit einem Synthesizer in den Mix geschichtet hätte, taucht auf der Platte stattdessen als "Oh-oh-oh"-Stadionchor auf. Davon, dass ihm deswegen der "Schlagervorwurf" gemacht wird, lässt er sich nicht beirren. Denn genauso spielerisch, wie er an den Sound der neuen Songs herangegangen ist, hört er sich auch am liebsten selbst durch die Musikgeschichte: "Ich kenne einfach keine Geschmacksgrenzen. Ich finde auch, dass es 'guilty pleasures' nicht gibt. Ich hör halt super gerne Blumfeld, aber ich höre auch super gerne Tic Tac Toe – ich kann fast allem etwas abgewinnen." Dementsprechend finden auf dem Album zirkusartig vorgetragener Gesang genauso seinen Platz wie scharfe Rave-Synths und Drums bei 200 Beats pro Minute.

So wie die Eingangstextzeile anklingt, sind viele Texte auf dem neuen Album wiederum thematisch komplexer gestrickt als die zugängliche Musik. Erst als im Schreibprozess die ersten Ideenfragmente zu ganzen Songs zusammenkamen, wurde Max selbst so richtig klar, welche Fragen ihn darin beschäftigen: "Wie ist das, wenn man keine Lust mehr hat auf das, was man ist und wie man sich selber wahrnimmt und vielleicht auch andere einen wahrnehmen? Wo kann man denn sagen, ab jetzt bin ich nicht mehr ich? So wie ich sagen kann, okay: Ab morgen esse ich keine Pommes und keine Nuggets mehr, sondern nur noch Äpfel. Das ist dann mein Lebenswandel – wo ist die 'Exit Strategy' aus einem selber?" Dem Albumkonzept entsprechend klingen der intensive Einstiegssong "Escape Fantasy" und das abebbende letzte Lied "Karussell" wie Intro und Epilog einer musikalischen Dramaturgie.

Genau das ist dabei das Stichwort. Die Affinität für Sprache im Projekt Drangsal steht seit dem Debütalbum offensichtlich im Vordergrund und wird auf "Exit Strategy" beinahe ausschließlich auf Deutsch zelebriert. "Das Spiel mit Sprache ist einfach das, was mir Spaß macht", kommentiert Gruber. "Ich will sagen, was auch nicht zusammengehört." Wenn er im Songtext von "Urlaub von mir" die Worte "Feuertaufen" und "Komasaufen" aufeinanderfolgen lässt, weiß man, was er mit der Verbindung meint. Im Gegensatz zum Vollsuff spielt die ursprüngliche Bedeutung der Feuertaufe nämlich in einer ganz anderen Liga. "Alles klingt sehr hochgestochen und dann will ich halt wieder saufen mit den Leuten und vergessen, dass es mir scheiße geht."

»Ich kenne einfach keine Geschmacksgrenzen. Ich finde auch, dass es 'guilty pleasures' nicht gibt.«

Meistens geht der Blick nach innen, aber auf einem Song wie "Mädchen sind die schönsten Jungs" vor allem auch nach außen. Mit dem Schlachtruf "Boykott dem binären Komplott!" besingt Drangsal die Sinnlosigkeit auferzwungener Geschlechterrollen. Dabei sind die teilweise abfälligen Kommentare über seine auffälligen Bühnenoutfits aus bunten Anzügen und Make-up für ihn nur ein kleiner Teilaspekt der Sache: "Das ist auch ein Grund, warum ich diesen Song mache, weil ich es nicht mutig finde, immer als Paradiesvogel bezeichnet zu werden." Dabei ist er sich bewusst, dass er bei der Vielfalt von queeren Erfahrungen ein "ultrasensibles wie subjektives Thema" behandelt. "Am Ende hoffe ich natürlich, dass man in das Album reinhört und sagt: 'Ach, typischer Drangsal-Song'. Und ich glaube, das kriegt man bei der Platte." Ob man dabei eher die "lustige Theatralik" heraushört, die er zu Teilen selbst in seiner Musik sieht oder etwas, an das er selbst noch nicht gedacht hatte – sein Wunsch nach Verständlichkeit ist unmissverständlich.


Auf Tour könnt ihr Drangsal hier erleben:

2021:

05.08. Juicy Beats Park Sessions | 25.08.-28.08. Berlin Pop-Kultur | 29.08. Berlin Picknick Konzerte

2022:

31.03. Nürnberg | 01.04. München | 02.04. Chemnitz | 08.04. Hamburg | 09.04. Frankfurt am Main | 17.04. Berlin | 21.04. Hannover | 22.04. Münster | 23.04. Köln | 29.04. Karlsruhe | 30.04. Leipzig

Fotocredit: Max vom Hofe

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